Niedersachsens Wirtschaftsminister: „Wir wollen die Menschen schützen“
Herr Althusmann, voraussichtlich ab Montag, 31. Mai, gilt wieder eine neue Corona-Verordnung in Niedersachsen. Dann greift auch der Stufenplan für weitere Lockerungen. Er lässt den Schulbesuch in voller Klassenstärke dann bis zu einer regionalen Inzidenz von 50 zu, in Nordrhein-Westfalen liegt die Inzidenz-Grenze für Schulbesuche ab dem 31. Mai bei 100. Warum nimmt Niedersachsen sich kein Beispiel an seinem Nachbarland?
Der recht strenge und strikte Kurs Niedersachsens hat sich nach meiner Auffassung bewährt. Wir haben uns die jetzige, positive Entwicklung des Infektionsgeschehens hart erarbeitet. Die Bürgerinnen und Bürger unseres Landes haben viel Disziplin gezeigt. Die Ungeduld bei vielen Eltern, Lehrern, Schülern oder auch in Gastronomie, Einzelhandel und Tourismus kann ich sehr wohl nachvollziehen. Wir müssen trotzdem weiterhin darauf achten, dass die Zahlen nicht wieder ansteigen.
Tourismus ist ein gutes Stichwort: Mit dem Kippen der Landeskinder-Klausel hat Niedersachsen erneut eine Schlappe vor dem Oberverwaltungsgericht hinnehmen müssen. War es nicht völlig überflüssig, der Tourismusbranche diesen Knüppel zwischen die Beine zu werfen?
Schließlich gab es im Vorfeld ausreichend Hinweise, dass die Landeskinder-Regel juristisch zweifelhaft sein könnte. Nach einem Gerichtsbeschluss, den wir ausdrücklich respektieren, ist man immer klüger. Richtig ist, dass ich nicht der Einzige war, der im Vorfeld erhebliche rechtliche Zweifel an der Landeskinder-Klausel geltend gemacht hatte. Aber am Ende haben wir sie gemeinsam in der Koalition getragen.
Und eine Bruchlandung hingelegt.
Unser Ziel war es, für einen begrenzten Zeitraum möglichst keine Urlauber aus anderen Bundesländern in unsere Tourismusgebiete einreisen zu lassen, um so keine zusätzlichen Infektionsgefahren entstehen zu lassen. Nun hat es das Oberverwaltungsgericht anders entschieden. Wir werden uns bei unserem Handeln aber weiterhin von dem Gedanken leiten lassen, die Menschen in unserem Land zu schützen und gleichsam, soweit es geht, unsere Wirtschaft. Dabei kann es in einer Krise auch mal zu konträren Entscheidungen kommen.
„Wie kann es möglich sein, dass eine Landesregierung nach über einem Jahr Pandemie eine nicht rechtskonforme Verordnung verfasst?“, fragt die 1. Vorsitzende des Bezirksverbands Ostfriesland vom Branchenverband Dehoga, Birgit Kolb-Binder. Was sagen Sie ihr?
Wir haben in den vergangenen 14 Monaten in nahezu allen Bundesländern erlebt, dass unterschiedlichste Corona-Verordnungen von Gerichten kassiert wurden. Ebenso, dass zahlreiche Versuche, Landesregeln zu kippen, vor Gericht scheiterten. Das Coronavirus – das zeigt der bisherige Pandemieverlauf – bleibt ein schwer berechenbarer Gegner. Das Virus lernt leider sehr schnell und mutiert. Das mag erklären, warum viele Entscheidungen von großer Vorsicht geprägt waren.
Es gab in der Tat mehrere juristische Niederlagen für das Land. Denken wir nur mal an das Beherbergungsverbot, mit dem Niedersachsen es vergangenes Jahr zeitweise untersagt hatte, dass Menschen aus Risikogebieten bei uns Urlaub machen dürfen. „Rechtswidrig“ urteilte das Oberverwaltungsgericht. Das Land scheint in dieser Frage einigermaßen beratungsresistent zu sein.
Hinter nahezu allen Überlegungen steht die Absicht, die in[1]zwischen über ein Jahr anhaltende Corona-Pandemie in den Griff zu bekommen: Wir entscheiden also nicht aus Willkür oder um die Menschen zu schikanieren, sondern um sie zu schützen. Ich kann die aktuelle Verärgerung der Tourismus-Branche durchaus verstehen, aber es ist nicht so, dass wir nicht jedes Argument abwägen, bevor wir eine Maßnahme ergreifen. Gleichzeitig haben wir ein umfangreiches Förderprogramm für Gastronomie und Tourismus auf den Weg gebracht, um entgangene Umsätze teilweise auszugleichen. Bis heute wurden an über 200.000 Unternehmen mehr als zwei Milliarden Euro Bundes- und Landesgelder zur Stützung unserer Betriebe in Niedersachsen ausgezahlt. Und es wird bis Jahresende mit der Überbrückungshilfe des Bundes weitergehen.
Das Land Niedersachsen sieht sich bereits mit Schadenersatzforderungen konfrontiert. Wie will das Land seinen Fehler gegenüber der Tourismusbranche wiedergutmachen?
Dass hier eine Rechtsgrundlage für Schadenersatzforderungen aufgrund von Maßnahmen des Infektionsschutzgesetzes besteht, dürfte noch sehr strittig sein. Wir sollten jetzt alle gemeinsam nicht vergessen, dass wir gerade der Tourismus- und Gastronomie-Branche mit Sonderprogrammen des Landes in nie da gewesener Höhe unter die Arme greifen und dabei deutlich mehr Geld in die Hand genommen haben als manch anderes Bundesland.
Womit wir bei der Wirtschaftspolitik wären: Was sagen Sie als Wirtschaftsminister eines der größten deutschen Bundesländer eigentlich zu den Plänen der Grünen auf Bundesebene?
Nach den Vorstellungen der Grünen soll offenbar der Staat alles richten. Das halte ich für mehr als fragwürdig. Durch massive Erhöhung der Staatsausgaben sollen Investitionen gelenkt werden. Hört sich erst einmal gut an, ging aber meist schief. Die Unternehmer in unserem Land wollen keine staatliche Bevormundung oder gar Alimentation, sie wollen ihr Einkommen und ihre Einnahmen selber erwirtschaften. Es mag populär sein, stimmt aber eben nicht, dass der Staat jetzt endlich die hohen Einkommen überproportional zur Finanzierung des Gemeinwesens heranziehen müsse. Das funktioniert bereits. Vieles bei den Grünen scheint mir nicht zu Ende gedacht. Funktionierender Wettbewerb in einer sozialen Marktwirtschaft ist besser als eine sich immer weiter ausweitende Staats- und Sozialwirtschaft, wie sie offensichtlich von den Grünen angestrebt wird. Der unkritische Glaube an Verstaatlichung, den das Programm der Grünen in sich trägt, ist schon erstaunlich. Die Grünen fragen leider häufig nicht, wie wir leben wollen, sondern sagen, wie wir leben sollen. Das widerspricht meiner Auffassung von Wirtschafts- und Gesellschaftspolitik.
Klingt wie eine Absage an Schwarz-Grün im Bund?
Koalitionsfragen sollten wir erst beantworten, wenn sie sich tatsächlich stellen.
Ich habe sie soeben gestellt.
Trotz unterschiedlicher Programme und Ansätze halte ich es keineswegs für ausgeschlossen, dass eine interessante Kombination aus Schwarz-Grün auf Bundesebene entsteht. Eine Fortsetzung der großen Koalition ist aus meiner Sicht jedenfalls nicht wünschenswert. Da haben sich die Koalitionspartner zu sehr aneinander abgearbeitet.
Und in Niedersachsen? Sie wollen immerhin Ministerpräsident werden. Lieber in einer Koalition mit den Grünen oder unter Fortsetzung der großen Koalition?
Erst einmal wollen wir weiterhin hart arbeiten, um bei der nächsten Landtagswahl stärkste Kraft in Niedersachsen zu werden. Welche Koalition dann gut für unser Land ist, wird noch zu beurteilen sein.
Angenommen, Armin Laschet würde Sie anrufen, um Sie in sein Schattenkabinett zu holen. Was würden Sie ihm sagen?
Armin Laschet sollte und wird ein breit aufgestelltes, interessantes Team zusammenstellen, das Erfahrung, Kompetenz und Weitblick für Deutschland zeigen wird.
Und dabei könnte er ja auch an Bernd Althusmann denken.
Ich möchte im nächsten Jahr Ministerpräsident in Niedersachsen werden. Deshalb stellt sich die Frage nicht.
Also ist es ausgeschlossen, dass Sie Hannover den Rücken kehren und nach Berlin gehen?
Noch mal: Ich möchte Ministerpräsident in Niedersachsen werden. Berlin ist nicht mein Ziel.